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  BLOG 09-09-2020

Bochumer Unternehmen VISUS Industry digitalisiert industrielle Prüfungsprozesse und archiviert die Ergebnisse revisionssicher

Gemeinsam mit einem ebenfalls in Bochum ansässigen Unternehmen, das Software zur Auswertung von Industriedaten mittels künstlicher Intelligenz entwickelt hat VISUS Industry das erste gemeinsame Projekt, den digitalen Schweißnahtassistenten, an den Start gebracht. Anhand der Analyse von strukturierten sowie annotierten Durchstrahlungsbildern soll der digitale Assistent künftig helfen, schon früh Schwachstellen in Schweißnähten zu finden.

Die Mitarbeiter der Radiologie des Oberurseler Krankenhaus (Taunus) staunten vermutlich nicht schlecht, als das Telefon klingelte. Am Apparat war in diesem Fall nämlich kein Patient, sondern der Leiter der Qualitätssicherung einer großen in Frankfurt ansässigen Firma. Er hatte keine gesundheitlichen Probleme, sondern ein ganz anderes: Seine Firma produziere bei der Qualitätssicherung so viele Durchstrahlungsbilder, dass er gar nicht wisse, wie er die alle speichern solle. Wie man dieses Problem denn in der Radiologie löse, einer Disziplin, die gemäß ihrer Tätigkeit täglich sehr viele Bilder produziere?

Dem Mann konnte geholfen werden. Er erhielt eine Telefonnummer einer Firma aus Bochum, der VISUS Health. Es ist ein Unternehmen, das Krankenhäuser und Ärzte bei der Patientenversorgung für das Bild- und Informationsmanagement unterstützt. Das Unternehmen wurde bereits im Jahr 2000 als Spin-off des Lehrstuhls für Radiologie der Universität Witten-Herdecke gegründet. Als eines der ersten Unternehmen archivierte die VISUS Health Bilder bildgebender Geräte, darunter Röntgenaufnahmen, Bildserien aus CTs und MRTs, erstmals in einem digitalen Archiv. Als Datenformat wähle VISUS Health das internationale und herstellerunabhängige DICOM -Format. DICOM steht für Digital Imaging and Communication in Medicine und hat eine Metafile-Struktur, in der u.a. Patiendaten, Gerätedaten sowie eine eindeutige Bildnummer gespeichert wird. Der Vorteil davon ist, dass diese Bilder nun global zugänglich und alle darin enthaltenen Informationen die Weiterbehandlung der Patienten vereinfacht, da Aufnahmen nachvollziehbar für alle Mediziner abgespeichert sind.

In der Medizin längst Standard, in der Industrie noch weitgehend unbekannt

Was aber hat das mit dem Anruf in Oberursel zu tun? Diese wahre Begebenheit zeigt, vor welchen Problemen aktuell die Industrie steht. Während sich Standardverfahren der Bilddatenspeicherung in der Medizin längst durchgesetzt haben, steht die Industrie aktuell vor einem großen Problem: Wohin mit all den Bildern und Daten, die bei der Überprüfung großer Anlagen entstehen?

Peter Rosiepen und sein Mitgründer Jens Martin haben dieses Problem erkannt und haben 2018 die VISUS Industry IT gegründet. Als Ausgründung der VISUS Health „bieten wir mit unserem Unternehmen ein universelles Bildmanagementsystem für die zerstörungsfreie und die zerstörende Prüfung in unterschiedlichsten Industriezweigen an“, sagt Rosiepen, der zuvor lange Jahre bei der VISUS Health zunächst im Vertrieb, später als Business Developer tätig war. Dort lernte er auch seinen jetzigen Mitgründer kennen, der als Projektmanager bei VISUS Health arbeitete. „Wir waren seinerzeit quasi zwei der ersten Mitarbeiter. Über die Jahre stellten wir fest, dass in Sachen Bilddatenspeicherung in der Industrie noch die Steinzeit herrscht“, sagt der gebürtige Sauerländer, der nach einem Abstecher nach Berlin, im Ruhrgebiet aufgewachsen und fest verwurzelt ist. „Ich bin nicht weit gekommen“, lacht er, „dem Ruhrgebiet halte ich die Treue.“

Die Erfahrung bei der „zerstörungsfreien Prüfen von Menschen“ und ihre Expertise mit der Technologie bringen sie nun in ihr Unternehmen VISUS Industry IT mit. Die Firma mit Sitz in Bochum digitalisiert mit dem Bildarchivierungs- und Kommunikationssystem JiveX NDT industrielle Testverfahren und sorgt für eine digitale Archivierung und Verteilung der Ergebnisse. Bilder, Prüfberichte und Dokumente werden revisionssicher und standardisiert im DICONDE (steht für: Digital Imaging and Communication in Non Destructive Evaluation)- Format gespeichert.

DICONDE ist ein international standardisiertes Dateiformat und Kommunikationsprotokoll, das sicherstellt, dass alle Informationen verlustfrei und in Übereinstimmung mit den internationalen Standards gespeichert werden. „Was in der Medizin längst Standard ist, kennt die Industrie bei der zerstörungsfreien Prüfung und der Qualitätssicherung fast nicht“, so Rosiepen.

Im industriellen Prüfverfahren fallen viele Bilder an – „Bauteilakte“ führt sie zusammen

Mit Hilfe von Methoden, die auch aus der Medizin bekannt sind, darunter unter anderem mit Ultraschall, Durchstrahlungsverfahren oder Videoendosokpie werden große Anlagen bei der zerstörungsfreien Prüfung durchleuchtet und geprüft. Dem Gerät ist es schließlich zunächst egal, ob es einen Körper oder ein Bauteil durchleuchten muss.

Vorteil der zerstörungsfreien Prüfung: Große Anlagen müssen nicht auseinandergenommen, demontiert und damit still gelegt werden. In der Regel kann der Betrieb somit ganz normal weiterlaufen, ohne dass dem Unternehmen ein Gewinnverlust entsteht.

„Bei der Prüfung entstehen Bilder, die wir digitalisieren, auswerten und standardisiert speichern“, erklärt Rosiepen, „und durch die dahinterliegende Meta-Struktur eignen sich unsere Bilder perfekt für das Anlernen von künstlicher Intelligenz.“ Um im medizinischen Jargon zu bleiben: VISUS Industry legt – kurz gesagt - eine digitale „Patientenakte“ für die Anlagen an.

Eine so genannte „Bauteilakte“ ist notwendig, denn je nach der entsprechenden Industrie müssen die Aufnahmen mindestens zehn Jahre archiviert werden, in der Luftfahrt so lange, wie das Flugzeugt fliegt und bei Atomkraftwerken je nach Laufzeit der Genehmigung – oder sogar darüber hinaus.

Wie wichtig eine „Bauteilakte“ ist, beschreibt anschaulich das Beispiel eines Güterzuges, dessen Waggons quer durch Europa fahren und Ladung von Nord nach Süd und von West nach Ost transportieren. Sie werden in Werkstätten auf dem ganzen Kontinent gewartet und repariert. „Daten müssen daher digitalisiert und für viele zugänglich gemacht werden, weil so viele Mechaniker in verschiedenen Ländern darauf zugreifen müssen und dokumentieren.“

Aktuell gibt es noch wenig Software, die das kann. Entsprechend bedient VISUS Industry IT alle relevanten Bereiche, darunter große Kunden aus der Energiewirtschaft und dem Maschinenbau, sowie Raffinerien und Prüfdienstleistern.

Investoren sind von Geschäftsmodell überzeugt

Eine Technologie, die auch Investoren überzeugte. Zunächst mit eigenem Kapital ausgestattet, investierten im November 2019 der High-Tech Gründerfonds (HTGF), der Gründerfonds Ruhr, und die NRW.Bank eine siebenstellige Summe in die VISUS Industry IT. Das Geld soll vor allem in Vertrieb und Marketing sowie für die Weiterentwicklung von JiveX NDT verwendet werden.

Bislang beschäftigt VISUS Industry IT insgesamt fünf Mitarbeiter, doch Rosiepen und sein Mitgründer Martin planen, diese Zahl bis Ende 2020 deutlich auszubauen. „Wir haben das Glück, dass wir bislang noch nicht rekrutieren mussten, denn gute Mitarbeiter haben zu uns gefunden“, freut sich der Gründer. Doch das geplante personelle Wachstum zwingt die beiden Gründer aktuell nun dazu, nach neuen Büroflächen Ausschau zu halten. Derzeit sitzt VISUS Industry noch bei der Mutterfirma. Von dieser Nähe hat das Unternehmen profitiert: durch Startkapital, durch Infrastruktur und personellen Ressourcen in Marketing und Buchhaltung. Doch zwei Jahre nach der Ausgründung will die VISUS Industry jetzt auf eigenen Beinen stehen.

Stadt Bochum hilft dem Start-up

Die Wirtschaftsförderung Bochum unterstützt die beiden Gründer dabei, geeignete neue Flächen und neue Mitarbeiter zu finden. „Wir planen nicht aus der Stadt zu ziehen“, so Rosiepen weiter. Warum auch? „Die Infrastruktur stimmt und Bochum macht sich über die Region hinaus stark für Startups und unterstützt Ausgründungen aus der Universität.“

Mit ihrem Business-Modell bewegt sich VISUS Industry in einem bislang noch wenig IT-affinen Markt. Rosiepen wundert das, denn „obwohl der Trend in der Industrie eindeutig in Richtung intelligenter und digital vernetzter Systeme, also Industrie 4.0, geht und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz immer wichtiger wird, ist die Industrie in unserer Nische nach wie vor sehr konservativ“, beschreibt er den derzeitigen Stand.

Pilotprojekt gestartet

Gemeinsam mit einem ebenfalls in Bochum ansässigen Unternehmen, das Software zur Auswertung von Industriedaten mittels künstlicher Intelligenz entwickelt hat VISUS Industry das erste gemeinsame Projekt, den digitalen Schweißnahtassistenten, an den Start gebracht. Anhand der Analyse von strukturierten sowie annotierten Durchstrahlungsbildern soll der digitale Assistent künftig helfen, schon früh Schwachstellen in Schweißnähten zu finden. Das Ergebnis war verblüffend: Ein gut geschulter Mensch hat eine Erkennungsrate von etwa 60 Prozent, die KI schafft es auf über 90 Prozent. Es zeigt, wohin die Reise gehen soll – auf für VISUS Industry, nämlich: digitale Bilder analysieren, strukturieren und so auswertbar zu machen, dass Fehler frühzeitig erkannt werden können, um Inspektoren bei der täglichen Auswertung von Prüfergebnissen zu unterstützen.